Scheidungskinder haben ein hohes Risiko wiederum zu geschiedenen Elternteilen zu werden
Wiederholen sie als Erwachsene die Fehler ihrer Eltern?
Seit den siebziger Jahren belegt eine Reihe von Untersuchungen die Existenz einer ‘sozialen Vererbung’ von Scheidung. Sucht man den Grund für die Weitergabe dieses erhöhten Scheidungsrisikos von einer Generation zur nächsten, bleiben die Antworten der Wissenschaft unbefriedigend. Reichen Scheidungskinder leichtfertiger die Scheidung ein? Gehen sie weniger verbindliche Beziehungen ein? Investieren sie weniger? Fehlen ihnen Vorbilder? Oder Kompetenzen zur Konfliktlösung? Welche Rolle spielen Stress oder etwaige finanzielle Probleme?
Fred Berger (Universität Zürich) fand durch eine Längsschnittstudie mit heute Fünfunddreißigjährigen Deutschen heraus, dass Scheidungskinder nach zwölf Jahren Ehe eine erhöhte Scheidungswahrscheinlichkeit von 60 Prozent aufweisen. Ein Zusammenhang besteht laut Studie mit dem Befund, dass die Betroffenen früher als ihre Altersgenossen sexuelle Beziehungen aufnehmen. Eine Studie aus München ergab zudem, dass Jugendliche häufiger Liebesbeziehungen führen, wenn die Ehe ihrer Eltern zerbrochen ist. Beides spricht dafür, dass Scheidungskinder dazu neigen, das was ihnen zuhause fehlt, woanders zu suchen.
Die Vorstellung, dass Studien die ganze Komplexität des Umfelds und Innenlebens eines Scheidungskindes darstellen könnten, ist unrealistisch. Und sie haben noch einen Haken: Es sind historische Daten. Selbst die vergleichsweise neuen Analysen erfassen weitestgehend Personen, deren Eltern sich spätestens in den achtziger Jahren haben scheiden lassen. Damals waren die Scheidungsraten schon stark gestiegen. Es wäre unzulässig, aus den Erfahrungen der Scheidungskinder von einst unmittelbar darauf zu schließen, wie Kinder heute Scheidungen erleben. Und wer Beziehungen der Gegenwart untersucht, weiß deshalb noch lange nichts über sie in zwanzig oder gar dreißig Jahren.
Doch Vorsicht. Jeder Mensch kann sich entscheiden. Auch Scheidungskinder. Von „Ich heirate nie“ über „Ich heirate erst, wenn ich mir ganz sicher bin“ bis hin zu „Wenn es nichts wird, werde ich es trotzdem besser machen als meine Eltern“. Zwar bietet selbst der schönste Vorsatz niemals Garantie, und doch: Zwangsläufigkeiten gibt es nirgendwo im Leben.
Quellen: Berger, F. (2009). Intergenerationale Transmission von Scheidung – Vermittlungsprozesse und Scheidungsbarrieren In H. Fend, F. Berger & U. Grob (Hrsg.). Lebensverläufe, Lebensbewältigung, Lebensglück. Ergebnisse der LifE-Studie (S. 267-303). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.