Sexualstörungen bedeuten für die meisten Menschen, dass irgendetwas beim Sex nicht in Ordnung ist. Das Wort „Störung“ impliziert dabei, dass es sich um etwas Schlimmes handeln muss. Dass die Person krank ist. Zudem werden damit oft biologische Fehlfunktionen in Verbindung gebracht. Doch diese Annahmen werden Sexualstörungen nicht im Geringsten gerecht. Wir räumen mit den Gerüchten auf und erklären, was genau Sexualstörungen eigentlich sind und wodurch diese ausgelöst werden. Meist steckt nämlich viel mehr dahinter, als ein einfaches „Versagen“ der körperlichen Funktionen.
Appetenzstörungen / Luststörungen
Beginnen wird mit den Luststörungen. Sie sind am weitesten verbreitet und gehen teilweise auch mit anderen Problemen wie Erektionsschwierigkeiten einher. Lustlosigkeit bezeichnet einen Mangel an sexuellem Verlangen. Hier wird die sexuelle Aktivität selten oder gar nicht initiieren – eben einfach, weil man keine Lust verspürt.
Der erste wichtige Fakt, den die meisten Menschen nicht kennen ist folgender: Lustlosigkeit ist in einer langen Partnerschaft etwas vollkommen Normales. Sex ist kein biologischer Trieb. Er ist nicht natürlich gegeben. Die meisten Menschen glauben, die Lust auf Sex entsteht einfach so. Aber das stimmt nicht. Ganz im Gegenteil: die sexuelle Unlust entsteht einfach so.
Als „Störung“ wird dies nun bezeichnet, wenn mindestens einer der beiden Partner mit der Lustlosigkeit unzufrieden ist und sie als Mangel erlebt wird. „Ich hätte ja so gerne Lust auf Sex, aber sie ist einfach nicht da!“ Wenn die Lustlosigkeit nicht von allein behoben werden kann, sucht man sich professionelle Hilfe.
Was steckt nun dahinter und warum haben wir Luststörungen, wenn wir doch eigentlich Sex haben wollen?
Im systemischen gehen wir davon aus, dass jedes Verhalten (auch mangelndes sexuelles Verlangen) einen Grund hat und dass es einen sinnvollen Nutzen dafür gibt. Dabei bezeichnen wir als Berater die Lustlosigkeit nicht als Störung, sondern sind gespannt darauf, wozu sie gut ist. Das mag im ersten Moment paradox klingen. Aber die Ursachen für sexuelle Störungen liegen meist viel tiefer, als wir denken. Und oft wird über unsere Sexualität etwas ausgetragen, wobei unser Problem ganz woanders liegt.
Häufige Ursachen sind:
- Unzufriedenheit in der Partnerschaft
- überkritische Selbstbewertung des eigenen Körpers (Wenn ich mich selbst nicht schön finde, kann ich mich nicht fallen lassen.)
- Kontextfaktoren (das Begehren der Frau wird von nichtsexuellen Bedürfnissen bestimmt, also zum Beispiel ob Beziehungswünsche wie Intimität und Vertrauen erfüllt werden)
- Keine positive Einstellungen zu den eigenen sexuellen Fantasien (wenn diese nicht akzeptiert werden (von sich selbst, gesellschaftlich oder vom Partner), bewertet man sie und sich selbst negativ, statt sie auszuleben. So stellt sich Lustlosigkeit ein.)
Meist kennen wir die Ursachen nicht. Wir wissen nicht, dass wir uns insgeheim etwas anderes von unserem Partner wünschen. Und wir wissen nicht, dass die sexuelle Lustlosigkeit uns nur davor schützt, uns mit einem Problem auseinanderzusetzen, welches unangenehmer ist, als die Störung. Für das Problem „kann ich ja nichts“. Und damit stellt es für innere Konflikte oft eine perfekte Lösung dar.
Diese gilt es in einer Beratung oder Therapie aufzudecken. Die Muster hinter dem Verhalten zu erkennen und so in der Lage zu sein, die eigene Sexualität wieder lustvoll leben zu können. Weil der versteckte Hintergrund gelöst wird.
Meist heißt es nicht „ich will keinen Sex mit dir“, sondern: „ich will so keinen Sex mit dir“. Wir helfen Ihnen herauszufinden, auf welche Art und Weise Sie Ihre Sexualität leben wollen.
Erregungsstörungen
Bei Erregungsstörungen funktioniert, wie der Name schon sagt, die sexuelle Erregung nicht so, wie geplant. Dazu zählt die erektile Dysfunktion beim Mann, also dass er „keinen hoch bekommt“, sowie ein Mangel an vaginaler Lubrikation bei der Frau, die „nicht feucht wird“.
Schauen wir uns die Erregungsstörung beim Mann an.
Es herrscht das Vorurteil: „Er kann immer“. Männer können immer, Männer wollen immer. Das ist falsch und diese beiden Faktoren hängen eng zusammen. Hinter der Erektionsstörung steckt häufig eine Luststörung. Oft ist es eine Kombination aus weniger Lust und dem damit verbundenen Erektionsverlust. Auch Männern ist häufig nicht bewusst, dass sie diesen Sex nicht wollen. Doch das ist meist der Grund dafür, warum die Erektion nachlässt. Schauen wir uns 3 Möglichkeiten an:
Die beziehungsdynamische Seite
Lustempfinden ist eine persönliche Bewertung. Es hängt davon ab, ob man emotional und kognitiv angesprochen wird. In langjährigen Beziehungen wird der Sex vorhersehbar und dadurch weniger interessant. Oft fällt es schwer mit der Partnerin über andere sexuelle Wünsche zu reden, als die bereits bekannten. Stattdessen wird die Lust in einen verborgenen Bereich verlagert. Dies kann zum Beispiel Pornografie und Masturbation sein. Da dieser Bereich die Bedürfnisse erfüllt, die der Partnerin verborgen bleiben, verstärkt sich Luststörung bei Sex mit ihr – es bleibt langweilig oder wird noch schlimmer. Eine Lösung kann hier sein, zu fragen auf was genau man keine Lust mehr hat und „auf welchen Sex hätten Sie denn Lust?“ Durch das Ausleben der Bedürfnisse, lässt die Erregungsstörung schnell nach.
Verantwortung
Häufig tritt es in Beziehungen auf, dass der Mann sich verantwortlich für die Befriedigung der Frau fühlt. Das nehmen Frauen gerne an und somit geben sie ihre Verantwortung ab. Das hat fatale Folgen, denn nun lastet auf ihm enorm viel Druck. Unter Druck ist es schwierig, sexuell erregt zu werden und zu bleiben. Erektionen gelten als Ausdruck von Männlichkeit. Wenn er diese verliert, fühlt er sich unmännlich und hat entsprechend weniger Lust. Er kommuniziert, dass er keine Lust hat, wobei der eigentliche Grund der Vermeidung, die Angst vor dem Verlust der Reaktion ist. Wer will schon, dass einem das öfter passiert?
Die Erwartungen seiner Partnerin und auch deren Schonung werden wichtiger, als die eigenen Bedürfnisse. Dass sie keinen Spaß hat ist für ihn das schlimmste, was passieren kann. Schließlich ist es seine Verantwortung. Allerdings ist er damit insgeheim unzufrieden. Die Erregungsstörung ist ein Hinweis auf ein berechtigtes Bedürfnis: er will nicht die alleinige Verantwortung tragen. Er will aber auch eine offene Auseinandersetzung vermeiden. Deshalb entwickelt er unbewusst aus „Protest“ die Störung: „ja, ich habe ein Erektionsproblem, aber auf das was du willst habe ich auch keine Lust!“.
Ambivalenz Psyche und Körper
Stellen wir uns ein altmodisches Paar vor. Sie will erobert werden. Er soll sie erst ein wenig umwerben und dann kommt es zum Geschlechtsverkehr. Das hat anfangs gut funktioniert. Mit der Zeit wünscht er sich jedoch, dass sie auch Interesse zeigt. Er verbindet ihre gemeinsame Sexualität zunehmend mit Anstrengung und Frust. Er möchte allerdings Ärger vermeiden. Um dies zu tun, initiiert er noch gelegentlich Sex, als eine Kompromisshandlung. Dabei fällt es ihm aber zunehmend schwerer die Erektion zu halten und er bekommt keinen Orgasmus mehr. Hier verhalten sich Körper und Psyche gegensätzlich. Im Kopf ist er verständnisvoll, akzeptiert ihre Ansichten und versucht darauf einzugehen. Sein Körper hat keine Lust darauf zu viel Verständnis zu zeigen. Nach außen hin verhält er sich angepasst, der Protest läuft über die Erregungsstörung.
Auch hier wäre es eine Option, offen mit der Partnerin zu reden und ihr von den eigenen Bedürfnissen zu erzählen. Allerdings fällt dies Paaren oft schwer und sie haben nicht das Gefühl, dass ihr Partner sich darauf einlässt. Zudem wollen sie ihren Partner nicht verletzen. Hier kann ein/e Berater/in helfen, die allparteilich ist und eine wertschätzende Kommunikation über die Wünsche beider ermöglicht.
Vaginismus / Scheidenkrampf
Vaginismus ist die Verkrampfung der Beckenbodenmuskulatur. Sodass die Penetration unmöglich ist oder große Schmerzen verursacht. Vaginismus kann von Beginn an, oder auch erst nach einer Zeit auftreten, in der die Sexualität ausgelebt werden konnte.
Schmerzen beim Sex können erlernt sein. Erste körperliche Symptome treten dabei durch Infektionen auf. Erst wenn der Arzt nichts Derartiges feststellen kann, hat Vaginismus meist psychische Ursachen. Wenn man beim Sex durch eine Krankheit Schmerzen erfahren hat, kann es sein, dass betroffene Frauen die Erwartung haben, dass sie wieder Schmerzen haben werden. Dadurch entsteht eine Abwehrreaktion, wobei der Körper sich verspannt. Diese Verspannung verhindert die Penetration und kann neue Schmerzen auslösen. So gerät man in einen Kreislauf, aus dem man nur schwer entkommt.
Wie bei den Männern mit Erregungsproblemen, verstecken manche Frauen mit ihrem Vaginismus ein anderes Problem. Sie haben das Gefühl ihren Ärger nicht ausdrücken zu dürfen. Vaginismus ist hier ein Schutz, um sich verschließen können. Sie können so Grenzen setzen, ohne ihre Aggression direkt ausdrücken zu müssen. Dies ist keine Störung, sondern eine enorm wertvolle Fähigkeit des Körpers. Ziel ist es deshalb auch nicht, die „Störung zu beseitigen“, sondern sich dahingehend zu entwickeln, dass man für die eigenen Wünsche selbstbestimmt eintreten kann.
Treten die Schmerzen beim Sex erst im Laufe der Beziehung auf, deuten auch sie häufig auf Lustlosigkeit hin, die sich körperlich äußert. Dafür kann es viele Gründe geben. Ein bekanntes Beispiel ist das weibliche Selbstbild. In unserer Gesellschaft sollen Frauen sexuell interessiert und erlebnisfähig sein. Aber nicht alle Frauen haben ständig Lust auf Sex und insbesondere nicht auf die Art Sex, die sie mit ihrem Partner schon seit Jahren praktizieren. Anstatt eingestehen zu müssen, dass sie sexuell doch nicht ganz so aufgeschlossen sind, übernimmt ihr Vaginismus die Verantwortung. „Schatz ich würde so gerne, aber die Schmerzen sind einfach nicht zu ertragen.“ Auch hier hilft es ins Gespräch zu kommen und aufzudecken, was dahinter liegt.
Sexuelle Störungen sind so individuell, wie Ihre Sexualität selbst. Oft ist es unmöglich eigenständig herauszufinden, was die Gründe dafür sind oder Lösungswege zu finden. Man ist in dem Problem gefangen und sieht keinen Ausweg mehr.
Wenn Sie unzufrieden mit Ihrer Sexualität sind und gerne etwas verändern würden, um sich und Ihren Körper wieder lustvoll zu erleben, kontaktieren Sie uns gerne. Wir sind für Sie da und schauen uns Ihr Problem ganz genau an, bis wir gemeinsam herausgefunden haben, welchen Sinn es hat und wie Sie damit so umgehen können, dass Sie Ihre Sexualität wieder frei ausleben können – so, dass sie Ihnen beiden Spaß macht.
Von Lisa Mucke
- Clement: Guter Sex trotz Liebe (2006)
- Bruchhaus Steinert: Sexualstörungen (2018)
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